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Arbeitnehmer müssen Überstunden beweisen

Im langersehnten Urteil hat das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 4. Mai 2022, Az. 5 AZR 359/21) die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigt. Dies bedeutet für Arbeitnehmer nichts Neues. Sie müssen in sogenannten Überstundenvergütungsprozessen die geleisteten Überstunden beweisen. Ihr Fleiß am Arbeitsplatz wird somit vor Gericht nicht durch Beweislasterleichterungen belohnt.

Dies bedeutet für Arbeitnehmer folgendes:

Darlegungs- und Beweislast für Arbeitnehmer

Leistet der Arbeitnehmer Überstunden und möchte er diese vom Arbeitgeber vergütet haben, so muss er, und nicht der Arbeitgeber, die geleisteten Überstunden darlegen und beweisen. Dies selbst dann, wenn es ein Zeiterfassungssystem gibt und sich der Arbeitgeber Kenntnis von den geleisteten Überstunden verschaffen könnte.

Beweislasterleichterungen abgelehnt

Anlass zur Freude für Arbeitnehmer gab zunächst das Urteil des Arbeitsgerichts Emden vom 20. Februar 2020, Az. 2Ca 94/19. Dieses sprach den Arbeitnehmern in Überstundenprozessen quasi Beweiserleichterungen zu. Dies jedenfalls dann, wenn es im Betrieb eine Zeiterfassung gibt und sich der Arbeitgeber mittels Zeiterfassung Kenntnis von den geleisteten Überstunden verschaffen könnte, mithin sich nicht darauf berufen könne, die Überstunden nicht angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt zu haben. Die Beweislasterleichterungen wirkte sich somit auf die sogenannte zweite Stufe der Beweislast aus. Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen gab der Freude der Arbeitnehmer jedoch bereits mit Urteil vom 6. Mai 2021, Az.  5 Sa 1292/20 einen Dämpfer, hob das Urteil des Arbeitsgerichts Emden auf und wies die Klage des Arbeitnehmers ab.

Das Bundesarbeitsgericht schloss sich dem an. Im dem dem Urteil zugrunde liegenden Fall hatte ein Auslieferungsfahrer mittels Zeiterfassung den Beginn und das Ende seiner täglichen Arbeitszeit aufgezeichnet. Pausen hatte er nicht erfasst. Dies mit der Begründung, dass er für diese keine Zeit gehabt habe.

Das Bundesarbeitsgericht wies die Berufung zurück mit der Folge, dass der Arbeitnehmer die Überstunden nicht vergütet bekam. Es begründete Entscheidung wie folgt:

Darlegungs- und Beweislast konkret

1. Es bleibt dabei, dass ein Arbeitnehmer seine geleisteten Überstunden im Überstundenprozess wie folgt beweisen muss:

– Nachweis, dass der Arbeitnehmer über die Normalarbeitszeit hinaus gearbeitet hat oder sich auf Weisung des Arbeitgebers hierzu bereitgehalten hat (Stufe 1).

– Nachweis, dass der Arbeitgeber die geleisteten Überstunden ausdrücklich angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt hat (Stufe 2).

2. Hieran ändere sich weder vor dem Hintergrund der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG noch Art. 31 der Grundrechte der Europäischen Union etwas, so die Richter. Denn diese würden nicht die Vergütung der Arbeitszeit der Arbeitnehmer, sondern die Arbeitszeitgestaltung unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer regeln/gewährleisten.

Fazit:

Arbeitnehmer:

Für Arbeitnehmer bedeutet die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, dass sie weiterhin hohe Hürden nehmen müssen, wenn sie die Vergütung von Überstunden einklagen.

Arbeitszeiterfassungssysteme können für Arbeitnehmer dennoch insofern hilfreich sein, als dass daraus hervorgeht, von wann bis wann der Arbeitnehmer am jeweiligen Arbeitstag gearbeitet und Überstunden geleistet hat (sog. erste Stufe der Beweislast). Liegt keine Zeiterfassung vor, können viele Arbeitnehmer im Nachhinein nicht mehr rekonstruieren, von wann bis wann sie an welchem Arbeitstag gearbeitet haben. Hierfür ist die Zeiterfassung hilfreich, auch wenn sie keine Beweislasterleichterung zur Folge hat. Entscheidend ist jedoch selbst dann, dass vom Arbeitnehmer dargelegt und bewiesen werden kann, wer auf Arbeitgeberseite die Überstunden angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt hat (sog. 2. Stufe der Beweislast). Gerade an letzterem scheitern viele Überstundenvergütungsprozesse, da dies nachträglich nicht mehr rekonstruierbar, erinnerlich und daher beweisbar ist.

Existiert keine Arbeitszeiterfassung, so ist Arbeitnehmern dringend anzuraten, selbst zu dokumentieren, an welchem Tag von wann bis wann gearbeitet wurde und bestenfalls, was während der geleisteten Überstunden bearbeitet wurde.

Arbeitgeber:

Ganz so einfach „kommen Arbeitgeber“ dennoch nicht davon: Arbeitgeber müssen trotz der für die Arbeitnehmer existierenden Beweislast ihrerseits im Rahmen der sogenannten abgestuften Darlegungs- und Beweislast vortragen, an welchen Arbeitstagen die behaupteten Überstunden vom Arbeitnehmer nicht geleistet, d. h. in geringerem Umfang als vom Arbeitnehmer behauptet gearbeitet wurden.

Daher gilt auch für Arbeitgeber, dass eine Zeiterfassung hilfreich sein kann, weil die vom Arbeitnehmer geleisteten Überstunden dort dokumentiert sind, somit „mehr Klarheit herrscht“. Allerdings ist es ratsam, dass Arbeitgeber die Arbeitszeiterfassung auch regelmäßig überprüfen.

In vielen Überstundenvergütungsprozessen kommt Arbeitgebern die sogenannte zweite Stufe der Darlegungs -und Beweislast zugute, wonach der Arbeitnehmer (s.o.) darlegen und beweisen muss, wer auf Arbeitgeberseite die Überstunden angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt hat. Hieran scheitern viele Überstundenvergütungsprozesse. Hieran ändert dank Urteil des Bundesarbeitsgerichts auch eine Zeiterfassung nichts.


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