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Verfall von Urlaub bei Langzeiterkrankung – keine Hinweispflicht für Arbeitgeber?

Arbeitgeber sind nicht dazu verpflichtet, langzeiterkrankte Arbeitnehmer auf den Verfall von Urlaubsansprüchen hinzuweisen / sie hierüber zu belehren. Dies hat das Landesarbeitsgericht Hamm im Urteil vom 24. Juli 2019, (Az. 5 Sa 676/19) entschieden. Allerdings ist das Urteil nicht rechtskräftig.  Gegen das Urteil wurde beim Bundesarbeitsgericht Berufung eingelegt. Das Bundesarbeitsgericht hat den Fall dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt (BAG, Beschluss vom 7. Juli 2020, 9 AZR 401/19). Es bleibt also spannend.

Verfall Urlaubsansprüche – Keine Belehrungspflicht für Arbeitgeber

Arbeitsunfähige Arbeitnehmer können keinen Urlaub nehmen. Interessant war daher die Rechtsfrage, ob Arbeitgeber dennoch auf den Verfall von Urlaubsansprüchen hinweisen müssen. Dies hat das Landesarbeitsgericht Hamm in der o.g. Entscheidung verneint. Damit einhergehend können – insbesondere langfristig – arbeitsunfähige Arbeitnehmer weiterhin keine Urlaubstage „ansammeln“ und „von einem Jahr ins andere verschieben“. Im Einzelnen:

Leitsatz der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm

Der Leitsatz der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm lautet:

„Eine Belehrungspflicht des Arbeitgebers dahingehend, dass Urlaubsansprüche bei Nichtinanspruchnahme bis zum 31.12. des Kalenderjahres oder bis zum 31.03. des Folgejahres im Fall der Übertragung erlöschen, besteht bei einer langfristig erkrankten Arbeitnehmerin nicht; diese Pflicht besteht erst wieder nach Wiedergenesung bezogen auf die konkreten Ansprüche der Arbeitnehmerin.“

Gesetzliche Urlaubsansprüche von Langzeiterkrankten Arbeitnehmern verfallen damit einhergehend weiterhin 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, aus dem sie resultieren, auch wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer hiervor nicht gewarnt hat. In welchen Zeitabschnitten tariflicher oder vertraglicher Mehrurlaub verfällt hängt von den Regelungen im Tarif- bzw. Arbeitsvertrag ab.

Die Begründung des Landesarbeitsgerichts Hamm, lautet – im Wesentlichen – wie folgt:

  • Arbeitgeber können langzeiterkrankte Arbeitnehmer nicht dahingehend belehren, dass bestehende Urlaubsansprüche erlöschen, wenn diese nicht bis zum 31.12. des Kalenderjahres beansprucht werden. Denn dies wäre, so das LAG Hamm, im Fall eines langzeiterkrankten Arbeitnehmers schlicht falsch.
  • Urlaubsansprüche von Langzeiterkrankten erlöschen erst 15 Monate nach dem Ablauf des Kalenderjahres, aus dem sie resultieren. Die Frage eines früheren Erlöschens hätte sich – so das LAG Hamm- erst wieder nach Genesung der Arbeitnehmerin gestellt.
  • Damit einhergehend sind Arbeitgeber, was den Verfall von Urlaubsansprüchen langzeiterkrankter Arbeitnehmer anbetrifft, erst in der Lage und in der Hinweis-/Belehrungspflicht, wenn die Arbeitsunfähigkeit beendet und klar ist, dass der Urlaub überhaupt genommen und damit einhergehend verfallen könnte.

Anforderungen an Hinweispflicht bei arbeitsfähigen Arbeitnehmern

Wie ein Arbeitgeber generell (d.h. ggü. allen Arbeitnehmern) seiner Belehrungspflicht, was den Verfall von Urlaubsansprüchen anbetrifft, nachkommen kann, hat das Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 19. Februar 2019 (Az: 9 AZR 423/16, Rz. 41, 42) dargestellt. Das Bundesarbeitsgericht fordert eine konkrete und transparente Unterrichtung des Arbeitnehmers und stellt hieran folgende Anforderungen:

Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer:

  • zu Beginn des Kalenderjahres
    • in Textform (d. h. z.B. per E-Mail) die genaue Anzahl der Arbeitstage Urlaub, die dem Arbeitnehmer im Kalenderjahr zustehen, mitteilen
    • ihn auffordern, seinen Jahresurlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er ihn innerhalb des laufenden Urlaubsjahres (Kalenderjahres) nehmen kann
    • ihm mitteilen, dass der Urlaub anderenfalls am Ende des Kalenderjahres verfällt, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub nicht entsprechend der Aufforderung beantragt und genommen hat, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre

Abstrakte Angaben des Arbeitgebers im Arbeitsvertrag oder auf einem Merkblatt genügen nicht, um der Belehrungspflicht nachzukommen.

Fazit:

Das Landesarbeitsgericht Hamm hat langzeiterkrankten Arbeitnehmern die Basis dafür, das „Ansammeln“ von Urlaubsansprüchen mit dem fehlenden Hinweis des Arbeitgebers auf den Verfall zu begründen, genommen. Solange die o.g. Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm jedoch nicht rechtskräftig ist, besteht für Arbeitgeber eine Unsicherheit und damit einhergehend ein Risiko, dass der Urlaub von langzeiterkrankten Arbeitnehmern doch nicht verfällt, so sie vom Arbeitgeber nicht auf den Verfall von Urlaubsansprüchen hingewiesen wurden.

Arbeitgebern ist daher anzuraten, die Arbeitsunfähigkeitszeiten von langzeiterkrankten Arbeitnehmern „gut im Auge zu behalten“ und den langzeiterkrankten Arbeitnehmer möglichst bei Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit „sofort“ Urlaub zu erteilen. Im Moment (Stand November 2020) können sich Arbeitgeber gegenüber langzeiterkrankten Arbeitnehmern noch auf das Urteil des LAG Hamm berufen. D. h., sie können sich auf den Verfall von Urlaubsansprüchen und keine ihnen obliegende Belehrungspflicht (Verfall von Urlaubsansprüchen) berufen.

Langzeiterkrankte Arbeitnehmer dennoch sicherheitshalber auf den Verfall von Urlaubsansprüchen hinzuweisen ist jedoch (Stand November 2020) kein Fehler!


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