Urlaubsabgeltungsanspruch trotz Freistellung?
Zunächst der Normalfall:
Viele Arbeitgeber stellen den gekündigten Arbeitnehmer nach Ausspruch einer ordentlichen Kündigung während der Kündigungsfrist unwiderruflich frei. Dies erfolgt in der Regel unter Anrechnung des Resturlaubs und der Überstunden. Das heißt, der Resturlaub und die Überstunden werden während der Kündigungsfrist vom Arbeitnehmer „abgebummelt“. Für den arbeitsfähigen Arbeitnehmer bedeutet dies, dass er den nicht genommen Resturlaub nicht ausbezahlt (abgegolten) bekommt, weil er ihn ja „abgebummelt“ hat. Dem während der Freistellung arbeitsunfähigen Arbeitnehmer hingehen ist der Urlaubsabgeltungsanspruch in der Regel nicht verwehrt.
Problematisch
wird es, wenn eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen wird; denn wenn diese wirksam ist, endet das Arbeitsverhältnis quasi „sofort“. Dann besteht der Urlaubsabgeltungsanspruch, weil der Urlaub ja nicht mehr genommen oder abgebummelt werden kann. Der Arbeitgeber hat beim Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung aber oft das Risiko, dass diese Kündigung unwirksam ist; denn an die Wirksamkeit außerordentlicher Kündigungen werden hohe Anforderungen gestellt. Daher sprechen Arbeitgeber oftmals neben der außerordentlichen Kündigung hilfsweise eine ordentliche Kündigung aus. Sollte die außerordentliche Kündigung unwirksam sein besteht zumindest die Chance, dass die ordentliche Kündigung wirksam ist und das Arbeitsverhältnis endet.
Interessant
wird es für Arbeitnehmer, wenn eine außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigung ausgesprochen wird und netterweise vom Arbeitgeber mitgeteilt wird, dass der Arbeitnehmer für den Fall der Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vorsorglich von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt wird – dies natürlich unter Anrechnung des Resturlaubes. Das Bundesarbeitsgericht hatte in solch einem Falle zu klären, ob denn dem Arbeitnehmer tatsächlich während der Freistellung wirksam Urlaub gewährt werden konnte. Im zugrundeliegenden Falle hatten sich die Parteien durch einen Vergleich darauf geeinigt, dass das Arbeitsverhältnis zwar nicht aufgrund der außerordentlichen, wohl aber infolge der ordentlichen Kündigung endete.
Ergebnis:
Das Bundesarbeitsgericht hat seine bisherige Rechtsprechung geändert – zum Wohle der Arbeitnehmer und zum Leid der Arbeitgeber. Die Richter waren der Ansicht, dass für den Arbeitnehmer nicht hinreichend erkennbar sei, dass ihm tatsächlich Urlaub gewährt würde wenn der Arbeitgeber diesen lediglich „vorsorglich“, d.h. nur für den Fall, dass die fristlose Kündigung unwirksam ist, gewährt. Ob man nun Urlaub habe oder nicht müsse man als Arbeitnehmer aber eindeutig erkennen können. Zudem – so die Richter – verlange § 1 des Bundesurlaubsgesetzes eine bezahlte Freistellung. Daher könne der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Falle einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung nur dann unter Anrechnung des Urlaubs freistellen, wenn er entweder das Urlaubsentgelt vor Antritt des Urlaubs zahle oder vorbehaltlos zusage. Die Richter sprachen dem Arbeitnehmer daher den Urlaubsabgeltungsanspruch zu.
(Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 10. Februar 2015 , Az 9 AZR 455/13)
Für Arbeitnehmer ist diese Entscheidung eine große Chance, trotz Freistellung unter vorsorglicher Anrechnung des Resturlaubs doch in den Genuss des Urlaubsabgeltungsanspruches zu kommen.
Arbeitgeber hingegen können diesen Anspruch vermeiden, indem Sie die Zahlung des Urlaubsentgelts zunächst vorbehaltlos zusagen und dann auszahlen, wenn klar ist, welche Kündigung wirksam ist.
Rechtsanwältin Dr. Sabine Reichert-Hafemeister, Fachanwalt für Arbeitsrecht. Rufen Sie gerne an um einen Beratungstermin im Büro in Berlin-Lichterfelde West (Bezirk Steglitz-Zehlendorf) zu vereinbaren:
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